Stell Dir vor, Du hättest 40 Jahre investiert, würdest Dich auf Deinen lang ersehnten Ruhestand freuen und wärst 2022 endlich in Rente gegangen. Dein Depot aus Aktien und Anleihen beträgt mehrere Hunderttausend Euro, doch dann bricht der Krieg in Europa aus, die Inflation nagt an Deinem Ersparten und durch die Zinswende bricht dein Depot um -30% ein. Die Krise kommt zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, denn sie trifft Dich auf dem Höhepunkt Deines Vermögens. Du hast nun aber nicht mehr die Zeit, diese Krise auszusitzen geschweige denn nachzukaufen, sondern bist gezwungen, von Deinem Depot zu leben und die Aktien und Anleihen Stück für Stück mit Verlusten zu verkaufen.

Das ist das sogenannte Rendite-Sequenz-Risiko: auch wenn durchschnittliche Renditen zuverlässig sind, kommt es in Deinem individuellen Leben stark darauf an, wann überdurchschnittliche Renditen und wann unterdurchschnittliche Renditen eintreten. Letztlich geht es um die Frage, wie genau Du Dein Vermögen über die Zeit aufbrauchen solltest, damit Du nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig konsumierst. In diesem Artikel klären wir 3 Fragen: u

  1. Was ist das Rendite-Sequenz Risiko?
  2. Wie hoch ist das Rendite-Sequenz Risiko?
  3. Wie kannst du das Rendite-Sequenz Risiko mindern?

Das Wichtigste in Kürze:
– Das Rendite-Sequenz-Risiko ist das Risiko, dass unterdurchschnittliche, schlechte Renditen in Deiner Entnahmephase gleich zu Beginn Dein komplettes Vermögen treffen und Dein Vermögen nicht reicht
– Eine Lösung hierfür bietet das sogenannte Dynamic Spending
– Ziel ist es, den Konsum nach Jahren schlechter Renditen kontrolliert zu senken und nach Jahren hoher Renditen moderat zu erhöhen
– Die Erfolgsaussichten mit diesem Verfahren werden signifikant erhöht

Was ist das Rendite-Sequenz-Risiko?

Um das kurz und knapp zusammenzufassen, vergleichen wir dazu zwei Personen. Wir stützen uns hierbei auf ein Paper von Vanguard (hier), das zum Thema Rendite Sequenz Risiko diese Überlegungen aufgeschrieben hat.

Auf der einen Seite Arne, der 1973 in Rente gegangen ist. Auf der anderen Seite ist Franz, der ein Jahr später, nämlich 1974 in Rente ging. Die 70er Jahre waren vergleichbar mit der heutigen Zeit – sehr hohe Inflation, sehr hohe Schwankungen. Es machte deshalb einen großen Unterschied, in welchem Jahr man in Rente ging, denn bei großen Schwankungen merkt man das Rendite-Sequenz-Risiko am meisten.

Gegenüberstellung von Arne (1973) und Franz (1974)

Schauen wir uns deshalb Arne und Franz genauer an. Beide starten mit einem identischen Portfolio von 500.000$, das zu 50% aus amerikanischen Anleihen und zu 50% aus amerikanischen Aktien besteht.

Würden sie nichts entnehmen, hätten sie über eine Zeit von 35 Jahren, von denen ja 34 dieselben sind, weil sie nur mit einem Jahr Unterschied starten, eine durchschnittliche reale Rendite von 5,23% bei Arne und 5,10% bei Franz erzielt – ein ziemlich ähnliches Ergebnis. Nun entnehmen sie aber inflationsbereinigt 25.000$ pro Jahr bzw. 5% des Portfoliowertes.

Der Unterschied ist gewaltig: obwohl sie nur ein Jahr nacheinander in Rente gehen, ist Arnes Portfolio nach 23 Jahren vollkommen leer, während Franz die meiste Zeit einen Portfoliowert von 300.000$ beibehalten und am Ende der Lebenszeit ungefähr noch 125.000$ vererben kann.

Das Rendite-Sequenz-Risiko ist also das Risiko, in einem falschen Jahr in Rente zu gehen, nämlich in einem Jahr schlechter Renditen, die sich auf das größtmögliche Vermögen auswirken. Wir können zwar im Durchschnitt mit einer gewissen Rendite über einen langen Zeitraum rechnen, Deine individuelle effektive Rendite hängt dann aber stark davon ab, wann überdurchschnittliche Renditen eintreten und wann unterdurchschnittliche Renditen eintreten.

Wie hoch ist das Rendite-Sequenz-Risiko?

Kommen wir zur 2. Frage, wie man dieses Risiko messen kann. Dazu schaute sich Vanguard alle Bärenmärkte seit 1929 an und ließ jedes Jahr eine fiktive Person in Rente gehen. Insgesamt gab es 31 Bärenjahre, also auch 31 Personen, die vom Rendite-Sequenz-Risiko getroffen wurden.

Sie teilen die Gruppe nun in diejenigen, die

  1. direkt am Allzeithoch in Rente gehen und
  2. diejenigen, die am Rande des Bärenmarktes, also am Ende der vorigen Rallye oder am Ende des Bärenmarktes, wo der Crash nicht mehr ganz so schlimm, aber auch noch nicht vorbei war, in Rente gehen.

Zur Gruppe 1 gehörten 15, zur Gruppe 2 16 Personen. Jede Person entnahm jedes Jahr wieder 5% ihres Portfolios.

Über alle Bärenmärkte reichte das Portfolio bei Gruppe 1 nur in 19% für 35 Jahre, bei der Gruppe 2 immerhin in 50%. Obwohl beide mit durchschnittlichen Renditen und einem Gesamtkapital, also inklusive des Zinseszinses während der 35 Jahre, von 737.000$ geplant hatten, wären es bei der ersten Gruppe nur 586.000$ und bei der zweiten Gruppe immerhin noch 665.000$ gewesen. Letztlich hätte die Gruppe 1 im Schnitt 44.000$ vererbt, Gruppe 2 immerhin 229.000$ .

Die Messung des Rendite Sequenz Risikos zeigt also ganz deutlich, dass ein einziges Jahr Unterschied beim Eintritt in den Vermögensverzehr dramatische Folgen haben kann. Auch wenn die Entnahmequote von 5% sehr hoch ist und die Folgen des Rendite Sequenz Risikos dadurch nochmal verstärkt, ist trotzdem ersichtlich, dass Gruppe 2 zwar auch nicht gut abschnitt, aber dennoch deutlich besser als Gruppe 1.

Wie gehst Du mit dem Rendite-Sequenz-Risiko am besten um?

Kommen wir damit zur letzten Frage: wie kann man dieses Risiko minimieren? Schließlich weißt Du ja vorher nicht, ob dieses Jahr ein schlechtes sein wird und Du dadurch zu Gruppe 1 oder Gruppe 2 (oder hoffentlich zu einer anderen Gruppe gehören wirst).

Vanguard schlägt dafür eine Entnahmestrategie namens Dynamic Spending vor. Kern dieser Strategie ist es, nicht jedes Jahr stur dieselbe Summe aus Deinem Portfolio zu entnehmen, sondern sie abhängig von der letztjährigen Performance anzupassen:

  • Wenn die Märkte gut laufen und die Kurse höher stehen als letztes Jahr, dann würdest Du nicht nur 25.000$ entnehmen, sondern 5% von dem neuen, höheren Portfoliowert, also etwas mehr. Dabei würde dann aber ein maximaler Anstieg des Konsumwertes festgelegt werden, bspw. maximal 2% mehr als letztes Jahr. Dieser Wert ist hingegen individuell, Vanguard rechnet hier ebenfalls mit 5% mehr. Damit käme man also auf maximal 26’250 Dollar.
  • Genau so auch andersherum: wenn der Portfoliowert niedriger liegt als letztes Jahr, dann würden wir auch weniger ausgeben, maximal jedoch 2% weniger als letztes Jahr. Wir würden unsere Entnahmen also auf 24.500 Dollar reduzieren. Dabei ist die Inflation übrigens immer bereits abgezogen, es geht also immer um die inflationsbereinigten Werte, die Kaufkraft sozusagen.

Durch dieses scheinbar banale Vorgehen werden die Erfolgsaussichten jedoch dramatisch erhöht. Die Erfolgswahrscheinlichkeit beider Gruppen steigt nämlich von 19% bzw. 50% auf jeweils 100%. Die Portfolios reichen also bis zum Lebensende. Auch die Portfoliowerte zum Vererben steigen signifikant an: während Gruppe 1 statt nur durchschnittlich 44.000$ vererben konnte, sind es jetzt 191.000$. Bei Gruppe 2 steigt dieser Wert von 229.000$ auf 280.000$.

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Du siehst also, dass das Timing bei Entnahmestrategien ein deutlich größeres Gewicht einnimmt als bei Investmentstrategien. Hier ist es in der Regel immer am besten, sofort Dein verfügbares Geld zu investieren, da die zukünftigen Renditen nicht vorhersehbar sind. Bei den Entnahmestrategien sprechen wir jedoch von bereits realisierten Renditen, die Du ja in Deinem Portfolio sehen kannst. Wenn diese sehr schlecht sind, solltest Du versuchen, Deine Entnahmen für das Folgejahr etwas zu reduzieren, denn auch kleine Reduktionen bringen einen großen Effekt über die Zeit.
Wenn die Märkte hingegen gut laufen, dann kannst Du die Entnahmen auch etwas erhöhen und die guten Renditen einsammeln.

Du erkennst also: auf die ersten fünf bis zehn Jahre Deiner Rente kommt es an. Wenn es da gut läuft, steigt die Wahrscheinlichkeit stark an, dass das Geld bis zum Ende reichen wird. Wenn es da nicht so gut läuft, solltest Du Deine Entnahmen dynamisch anpassen, und sei es nur um wenige Prozentpunkte.

Fazit: So gehst Du mit dem Rendite-Sequenz-Risiko am besten um

Das Rendite-Sequenz-Risiko beschreibt die Gefahr, dass unterdurchschnittliche, schlechte Renditen Dich am Höhepunkt Deines Vermögens, also zu Beginn Deiner Entnahmephase, treffen. Das führt dazu, dass die absoluten Verluste sehr hoch werden und das Risiko steigt, dass das Geld nicht bis zum Lebensende reicht. Gerade in Zeiten hoher Inflation ist dieses Risiko hoch.

Normalerweise wirst Du mit statischen, inflationsbereinigten Entnahmen für Deinen Ruhestand rechnen. Das ist jedoch falsch, wenn es um das Rendite-Sequenz-Risiko geht. Hier lohnt es sich stark, Deine Entnahmen nach den Renditen des vergangenen Jahres anzupassen: auf ein schlechtes Jahr mit unterdurchschnittlichen Renditen solltest Du weniger verkonsumieren (ergo weniger Verluste realisieren) und nach guten Börsenjahren darfst Du Deine Entnahmen auch etwas nach oben schrauben (ergo mehr Gewinne realisieren).

Dieses Vorgehen wird Dynamic Spending genannt und erhöht die Erfolgsaussichten maßgeblich.

FAQ – Häufig gestellte Fragen zum Rendite-Sequenz-Risiko

1. Was ist das Rendite-Sequenz-Risiko?

Es ist das Risiko, dass Du zu Beginn Deines Ruhestandes bzw. am Höhepunkt Deines Vermögens auf schlechte Renditen triffst, die zu überdurchschnittlich hohen (absoluten) Verlusten führen und Dein Depot so stark schmälern, dass Dein Kapital bereits vor Lebensende aufgebraucht ist. 

2. Wie schlimm ist das Rendite-Sequenz-Risiko?

Es ist wichtig, dieses Risiko im Blick zu behalten. Auch wenn am Aktienmarkt von durchschnittlich 7% ausgegangen wird, sind die Schwankungen um diesen Wert herum extrem. Du solltest nicht den Fehler machen und diesen Wert mit einer stabilen Verzinsung verwechseln.

Das Rendite-Sequenz-Risiko kann schnell über einige Jahre Deiner Depot-Überlebensfähigkeit entscheiden.

3. Wie kann ich das Rendite-Sequenz-Risiko steuern?

Das wichtige ist, Deine Entnahmen nach den Renditen der Vorjahre auszurichten. Nach guten Börsenjahren kannst Du Deine Entnahmen erhöhen (bspw. maximal +5,0% inflationsbereinigt), nach schlechten Börsenjahren eher reduzieren (bspw. maximal -2,5% inflationsbereinigt). Die Werte hängen von Deiner finanziellen Flexibilität ab, erhöhen jedoch Deine Depot-Überlebenswahrscheinlichkeit enorm.

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